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Zum Leitartikel in DIE ZEIT Nr 5,
vom 24. Januar 2003:
Die Mär vom Ölkrieg, von Thomas Kleine-Brockhoff

 > Quellen im World Wide Web

Herrn
Dr. Michael Naumann
Herausgeber und Chefredakteur der ZEIT
Pressehaus, Speersort 1
20095 Hamburg

 

Sehr geehrter Herr Dr. Naumann,

es fällt schwer, dem Verdruß, der sich nach Lektüre des oben referenzierten Artikels einstellt, nicht mit harten Worten Ausdruck zu geben. Tatsächlich ist dieser Artikel - mit Verlaub - einer der schlechtesten von jenen, die ich in gut 35 Jahrgängen der ZEIT gelesen habe. Sein Inhalt beruht nicht nur auf offensichtlich unzureichender Recherche, sondern er wiederholt auch - in wohlgesetzten Worten, versteht sich, doch ohne den Schimmer einer kritischen Reflexion - einschlägige Propagandaparolen, vom "gewaltigen Missionsprojekt der Demokratisierung Arabiens" bis zu der grotesken Aussage, daß es der Bush-Regierung ausschließlich um "Massenvernichtungswaffen" gehe. Ein solches Elaborat ist der ZEIT nicht würdig, und besonders nicht in Gestalt eines Leitartikels auf prominenten Platz. 

Im einzelnen: 

Sein Autor schreibt, "die Planungen des Irak-Feldzuges hätten sechs Tage nach dem Attentat begonnen", und er fragt: "Glaubt jemand ernsthaft, daß damals ein Rohstoff-Krieg in Aussicht genommen wurde?" Wie und wo informiert sich Herr Kleine-Brockhoff eigentlich? 

Erstens: Ist ihm nicht klar, daß der Krieg gegen den Irak bereits seit mehr als zwölf Jahren im Gange ist, und daß der bevorstehende Überfall nur einen weiteren Höhepunkt mit schließlichem "showdown" darstellen wird?

Zweitens: Kennt er nicht die einschlägigen und für jedermann frei, zum Beispiel im Internet, zugänglichen Produkte US-amerikanischer "think tanks" und policy Institute, welche nicht nur die strategischen Aspekte der US Ressourcenpolitik beschreiben, sondern kaum verblümt auch die Schritte, welche zu ihrer Implementierung notwendig sind? Diese Produkte sind sämtlich vor dem magischen Datum entstanden. Sie belegen nicht mehr und nicht weniger, als daß es im politischen Geschäft zuvörderst um Ressourcen geht. Zum Beispiel:

STRATEGIC ENERGY POLICY - CHALLENGES FOR THE 21ST CENTURY (pdf-Format) (Report of an Independent Task Force, Sponsored by the James A. Baker III Institute for Public Policy of Rice University and the Council on Foreign Relations, Edward L. Morse, Chair, Amy Myers Jaffe, Project Director, April 2001)

Man erinnert sich: Herr Baker, honorary chairman des Instituts, in welchem diese Studie angefertigt wurde, war Außenminister unter Präsident Bush I.

Herr Kleine-Brockhoff bräuchte in jenem Report gar nicht weit zu lesen, um zu verstehen, worum es geht. Das "Executive Summary" genügt. Darin liest man, unter der Überschrift "What should the United States do now?" ("Was sollten die Vereinigten Staaten jetzt tun?"):

"Die Regierung wird hart arbeiten müssen, um die politischen Pressionen von innen und von außen abzuwehren, welche die gewaltigen Gewinne, die gemacht wurden, gefährden könnten, und um sicherzustellen, daß die Märkte effizienter werden." ("The government will need to work hard to ward off political pressures, both at home and abroad, that could undermine the huge gains that have been made and to assure that markets become more efficient.") Und weiter: "Der Präsident muß jetzt handeln um die langfristigen Ziele der Nation in diesem äußerst wichtigen Politikbereich neu zu bewerten, in Hinblick auf die Entwicklung einer umfassenden Vorgehensweise, welche wirtschaftliche Prosperität und internationale Sicherheit für künftige Generationen garantieren kann." ("The president needs to act now to reassess the nation’s long-term objectives in this most important area of policy, with an eye to developing a comprehensive approach that can assure economic prosperity and international security for future generations.") Unter "Recommendations - immediate steps" wird dann das "Problem" Irak in allen Einzelheiten erörtert.

Glaubt Herr Kleine-Brockhoff ernsthaft, daß sich die jeweiligen Regierungen der USA von einem Ereignis wie dem am 11. September 2001 in ihren langfristigen Zielen und bei der Umsetzung der zu ihrer Erreichung notwendigen Strategien in dem von ihm behaupteten Sinne beeinflussen lassen? Für wie naiv hält er Amerikas Konservative? Allenfalls war ihnen jenes Ereignis ein Anlaß, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu beschleunigen. 

Um welche Anstrengungen es sich dabei handelt, zeigt ein Bericht des "Project for the New American Century", an welchem zumindest bis zum Regierungsantritt von Bush II die Herren Rumsfeld, Wolfowitz und Perle fleißig mitgearbeitet haben: "Rebuilding America's Defenses: Strategy, Forces and Resources For a New Century," September 2000". Darin heißt es (Seite 51): "Weiters ist der Transformationsprozeß, selbst wenn er revolutionäre Änderungen mit sich bringt, wahrscheinlich von langer Dauer, es sei denn es gibt ein katastrophales und katalysierendes Ereignis - wie ein neues Pearl Harbor." ("Further, the process of transformation, even if it brings revolutionary change, is likely to be a long one, absent some catastrophic and catalyzing event – like a new Pearl Harbor.") Wohlgemerkt, dies wurde ein Jahr vor dem katastrophalen Ereignis veröffentlicht. Wir erinnern uns: Pearl Harbor wurde danach schnell zum Vergleich herangezogen. Daß das Ereignis im Sinne der Autoren dieses Berichts katalysierend wirkte, wurde allen, die es sehen wollten, ebenfalls schnell klar.

Herr Perle ist uns auch als Befürworter eines "Regimewechsels in Deutschland" bestens bekannt. Übrigens zählen die oben genannten Herren zu den Unterzeichnern eines Briefes, den das Projekt im Januar 1998 (!) an Präsident Clinton richtete. Dort heißt es gleich zu Beginn: "Wir schreiben Ihnen, weil wir überzeugt sind, daß die gegenwärtige amerikanische Irak-Politik erfolglos ist und daß wir uns im mittleren Osten bald einer ernsteren Bedrohung gegenübersehen als allem, was wir seit dem Ende des kalten Krieges erlebt haben. Bei Ihrer bevorstehenden Rede zur Lage der Nation haben Sie eine Gelegenheit, einen klaren und entschiedenen Kurs vorzuzeichnen, um dieser Drohung zu begegnen. Wir ersuchen Sie dringend, diese Gelegenheit zu ergreifen und eine neue Strategie zu formulieren, welche zur Sicherung der Interessen der USA und unserer Freunde und Verbündeten weltweit geeignet ist. Diese Strategie sollte vor allem auf die Entmachtung des Regimes  von Saddam Hussein abzielen. Wir stehen bereit, unsere volle Unterstützung bei diesem schwierigen aber notwendigen Unternehmen anzubieten." ("We are writing you because we are convinced that current American policy toward Iraq is not succeeding, and that we may soon face a threat in the Middle East more serious than any we have known since the end of the Cold War.  In your upcoming State of the Union Address, you have an opportunity to chart a clear and determined course for meeting this threat.  We urge you to seize that opportunity, and to enunciate a new strategy that would secure the interests of the U.S. and our friends and allies around the world.  That strategy should aim, above all, at the removal of Saddam Hussein’s regime from power.  We stand ready to offer our full support in this difficult but necessary endeavor.") Clinton und Blair beschlossen im gleichen Jahr eine Intensivierung der Bombardierung, bekannt unter dem Codenamen "Desert Fox", bei der in vier Tagen mehr cruise missiles abgefeuert wurden als im Golfkrieg 1991 insgesamt.

Herrn Kleine-Brockhoffs Einlassung "der Krieg gegen den Irak werde trotz, nicht wegen des Öls geführt" (einschließlich seiner von wirtschaftlichem Sachverstand offenbar ungetrübten Einschätzung der ökonomischen Konsequenzen) erscheint nach den angeführten Dokumenten (und anderen) so abwegig (um nicht zu sagen: irreführend), daß es sich nicht weiter lohnt darauf einzugehen. Auch seine logischen Fähigkeiten lassen offenbar zu wünschen übrig: Warum zum Beispiel "Materialismus" und "Moralismus" (was immer diese sein mögen) "logisch nicht zusammengehen", ist seinen Ausführungen nicht zu entnehmen. Ferner läßt die Tatsache, daß die USA im Laufe des ersten Golfkrieges die irakischen Ölfelder nicht eingenommen haben, keineswegs den Schluß zu, daß sie an der Kontrolle dieser Ressourcen kein Interesse hatten.

Womit der Autor wohl Recht hat, ist, daß dieser Krieg aus Angst geführt werden wird. Aber es ist nicht die Angst vor Massenvernichtungswaffen, welche die sogenannten politischen, in Wirklichkeit aber wirtschaftlichen Eliten der USA treibt, sondern die Angst vor dem Verlust der wirtschaftlichen Macht ihrer weltweit operierenden Konzerne, einer Macht die nicht nur dem Rückgriff auf das globale Reservoir billiger Arbeitskräfte zu verdanken ist, sondern großenteils auf der hemmungslosen Ausbeutung natürlicher und nicht-erneuerbarer Rohstoffe jenseits der Grenzen der USA beruht. 

Diese Angst ist im Übrigen invariant gegenüber Regierungswechseln in den USA, wie unter anderem die Ansprache Bill Clintons am 23. März 1999 (am Vorabend des Beginns der Bombardierung Jugoslawiens!) vor der Jahresversammlung der Gewerkschaft der US Staatsbediensteten zeigte.  Clinton beginnt mit einer Erläuterung der ökonomischen Rahmenbedingungen und der innenpolitischen Ziele seiner Administration und fährt dann fort: "Und ich unterstützte die Idee, daß die Vereinigten Staaten, Kanada und unsere europäischen Verbündeten die neuen Sicherheitsherausforderungen im Europa des 21sten Jahrhunderts annehmen müssen, einschließlich all dieser ethnischen Konflikte an seinen Grenzen. Warum? Weil, damit diese Innenpolitik funktionieren kann, wir frei sein müssen, sie umzusetzen. Und wenn wir eine starke wirtschaftliche Beziehung haben wollen, welche unsere Fähigkeit einschließt, rund um die Welt zu verkaufen, dann muß Europa der Schlüssel sein. Und wenn wir wollen, daß Leute unsere Last der Führung teilen, mit all ihren Problemen, die unvermeidlich entstehen, dann muß Europa unser Partner sein. Nun, das ist es im Endeffekt, worum es bei diesem Kosovo-Ding geht." ("And I supported the idea that the United States, Canada and our European allies had to take on the new security challenges of Europe of the 21st century, including all these ethnic upheavals on their border. Why? because if this domestic policy is going to work, we have to be free to pursue it. And if we're going to have a strong economic relationship that includes our ability to sell around the world, Europe has got to be a key. And if we want people to share our burdens of leadership with all the problems that will inevitably crop up, Europe needs to be our partner. Now, that's what this Kosovo thing is all about.") Bekanntlich hat damals Amerikas Fähigkeit "to sell around the world" mehreren Tausend unschuldigen Menschen das Leben gekostet. Das ist es, worum es geht!!

All das hat mit Verschwörungstheorien nichts, aber auch gar nichts zu tun; im Gegenteil: All das ist offen dokumentierte Praxis. Die Tatsache, daß Herr Kleine-Brockhoff davon keine Notiz nimmt, legt den Verdacht nahe, daß er selbst - und mit ihm die ZEIT - die Sache der Kriegspropagandisten mit Vorsatz betreibt. Das ist schlicht und ergreifend empörend.

Mit freundlichen Grüßen ...

P.S.: Es gibt zahlreiche Quellen im World Wide Web, aus denen sich jeder, der sich nicht der alltäglichen Propaganda unterwerfen will, zuverlässige und ehrliche Informationen, Hintergrundberichte und  intelligente Analysen zum USA-Irak Komplex besorgen kann. Fünf Beispiele mögen genügen:


Global Policy Forum 
(http://www.globalpolicy.org/index.htm)

The International Action Center (Founded by Ramsey Clark, Former U.S. Attorney General)
(http://www.iacenter.org/)

Zmag 
(
http://www.zmag.org/weluser.htm)

Noam Chomsky archive 
(
http://www.zmag.org/chomsky/index.cfm)

CounterPunch 
(http://www.counterpunch.org/)

Common Dreams breaking news & views for the progressive community     (http://www.commondreams.org/)

Fairness & Accuracy In Reporting 
(
http://www.fair.org/)

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Websites auf die im Text verwiesen wird:

Die Mär vom Ölkrieg, von Thomas Kleine-Brockhoff 
(http://zeus.zeit.de/text/2003/05/01Leit1_05_2f03)

STRATEGIC ENERGY POLICY - CHALLENGES FOR THE 21ST CENTURY (pdf-Format) (Report of an Independent Task Force, Sponsored by the James A. Baker III Institute for Public Policy of Rice University and the Council on Foreign Relations, Edward L. Morse, Chair, Amy Myers Jaffe, Project Director, April 2001
(http://www.rice.edu/projects/baker/Pubs/workingpapers/cfrbipp_energy/energytf.htm
)
(http://www.rice.edu/projects/baker/Pubs/workingpapers/cfrbipp_energy/energycfr.pdf
)
(http://www.rice.edu/projects/baker/)

11. September 2001 
(http://www.wtc-anschlag.de/)

"Project for the New American Century
(http://www.newamericancentury.org/)

"Rebuilding America's Defenses: Strategy, Forces and Resources For a New Century," September 2000
(http://www.newamericancentury.org/RebuildingAmericasDefenses.pdf)

"Regimewechsel in Deutschland" 
(http://www.handelsblatt.com/hbiwwwangebot/fn/relhbi/sfn/buildhbi/cn/GoArt!200013,200051,571184/SH/0/depot/0/)

Brief des "Project for the New American Century" an Präsident Clinton
(
http://www.newamericancentury.org/iraqclintonletter.htm)

Ansprache Bill Clintons am 23. März 1999 
http://www.state.gov/www/policy_remarks/1999/990323_clinton_afscme.html

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