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den 20. Juni 1999

Ihr Dossier "Die Geister, die der Krieg rief" in DIE ZEIT Nr 25, vom 17. Juni 1999

 

Sehr geehrter Herr Ross!

Bei Ihrer Zusammenfassung der Kosovo-Debatte haben Sie möglicherweise einen interessanten Aspekt außer Acht gelassen: Die Tatsache nämlich, daß die von Ihnen zitierten Bildner der veröffentlichten Meinung sich bei ihrer Suche nach Rechtfertigungen oder Ablehnungsgründen für den NATO-Einsatz in Jugoslawien offenbar nicht die Mühe gemacht haben,  US-amerikanische Originalquellen zu studieren. Dabei sind diese ebenso offen über das Internet zugänglich wie immer noch der Starr-Report. Ich meine zum Beispiel:

  1. Ein Papier des US-amerikanischen Verteidigungsdepartments: United States Security Strategy for Europe and NATO, aus dem Jahre 1995 (http://www.fas.org/man/nato/offdocs/us_95/ssen/index.html), in dem die US Interessen glasklar beschrieben werden. Es sind zuerst und vor allem auf die eigene Volkswirtschaft bezogene Interessen. Von humanitärer Intervention ist in diesem Papier ehrlicherweise nicht die Rede.

  2. Eine Ansprache, die Bill Clinton am 23. März 1999 vor der Jahresversammlung der Gewerkschaft der US Staatsbediensteten hielt. Clinton beginnt mit einer Erläuterung der ökonomischen Rahmenbedingungen und der innenpolitischen Ziele seiner Administration und fährt dann fort: And I supported the idea that the United States, Canada and our European allies had to take on the new security challenges of Europe of the 21st century, including all these ethnic upheavals on their border. Why? because if this domestic policy is going to work, we have to be free to pursue it. And if we're going to have a strong economic relationship that includes our ability to sell around the world, Europe has got to be a key. And if we want people to share our burdens of leadership with all the problems that will inevitably crop up, Europe needs to be our partner. Now, that's what this Kosovo thing is all about. (Ich nehme an, eine Übersetzung erübrigt sich.)

Deutlicher kann man es eigentlich nicht sagen. Hier ist ein Kaiser, der sich seiner Nacktheit nicht schämt. (Man ist geneigt hinzuzufügen: Sic!)

Schließlich sind "Menschenrechte" nur dann ein 'Issue', wenn es die jeweilige Staatsraison gebietet. Das gilt fuer die Herren der USA nicht anders als fuer die Herren Milosevic, Saddam, Pinochet, oder wie immer die jeweiligen Bösewichter (aus der Sicht welcher Seite auch immer) heißen mögen.

Wirklich erstaunlich sind allerdings (1) die geradezu unglaubliche Unverfrorenheit, mit der hierzulande, aber auch anderswo in Europa, die Mär vom "humanitären Einsatz" regierungsamtlich verbreitet wird, und (2) die Bereitwilligkeit, mit der diese Mär allenthalben aufgenommen wird. Die Motive sind in keinem Fall klar, oder doch? Es fällt mir schwer, einem ex-Jusovorsitzenden und jetzigen Kanzler sowie einem ex-Sponti und jetzigen Außenminister Böswilligkeit zu unterstellen. Und daß ein Jürgen Habermas oder ein Erhard Eppler naiv seien, will mir auch nicht recht einleuchten. Sollte Angst das Motiv sein, zumindest bei den Erstgenannten? Wohl auch eine Form der Staatsraison! Da stehen sie und können nicht anders?

Und von hier aus ist es nicht mehr weit zur Einsicht, daß es letztlich die Angst der Europäer (siehe auch http://www.radio.cz/de/artikel/84285, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21686/1.html) voreinander ist, die sie fest in einer von den USA dominierten NATO gebunden hält.

Das ist außerordentlich bedauerlich, denn die Austreibung des Teufels mit Beelzebub (siehe auch http://www.human-nature.com/reason/white/chap15.html) hat - wie ich vermute - noch nie funktioniert.

 

Mit freundlichen Grüßen

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