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Zum Artikel "Europäisches Versagen und der Ukrainekrieg" von Walther Bücklers ( Nachdenkseiten 7 Mai 2022)

Krieg darf nicht die "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" sein. Diplomatie, Verhandlungen, Interessenausgleich müssen die einzige Möglichkeit sein, Konflikte beizulegen. Was aber, wenn sich eine Konfliktpartei hartnäckig weigert, dies zu tun?

Krieg ist die "ultima irratio", der Wahnsinn, wenn man so will. Das stimmt. Doch Kriege haben eine Vorgeschichte und einen Hintergrund, sie entstehen nicht aus heiterem Himmel. Die Vorgeschichte und die Zusammenhänge sollten sorgfältig untersucht werden, um die Schuld der Beteiligten gerecht zuzuordnen.

Herr Bücklers hat diese Vorgeschichte im Wesentlichen sicherlich korrekt, wenn auch nicht unbedingt vollständig, dargestellt. Der Konflikt (USA/UK vs Russland) begann nicht 2014, nicht 2008, nicht 1991 und auch nicht 1945. Er hat eine über hundert Jahre zurückreichende Historie, dessen sollte man sich ebenfalls bewusst sein. (Siehe auch das immer wieder zitierte “Grand Chessboard” von Zbginiev Brzezinski, in dem er  eine Agenda propagiert, deren Ziel letztlich die Zerschlagung der Russischen Föderation in drei unabhängige Staaten ist, eine Agenda, die sich auf die ebenfalls wohlbekannte "Herzlandtheorie" eines britischen Geographen namens Mackinder beruft.)

Der Autor schreibt: "Es besteht kein Zweifel, dass Russland eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine trägt. Der russische Angriff ist ein Verstoß gegen das UN-Gewaltverbot, eine Verletzung ukrainischer Souveränität und ein eklatanter Bruch des Völkerrechts.”

Die erste dieser Aussagen wird durch all das, was Herr Bücklers sonst noch schreibt, im Grunde genommen widerlegt. Natürlich, unbestritten ist, dass die russische Regierung den letzten Schritt der Grenzüberschreitung getan hat. Insofern ist die zweite Aussage wohl formal richtig, muss jedoch gesehen werden vor dem Hintergrund vorangegangener Verstösse gegen das Gewaltverbot (wenn auch "nur" innerstaatlich) und  eklatanter Völkerrechtsbrüche der "anderen Seite" - wie der Autor im Zusammenhang mit dem Maidan selbst einräumt. (Wie beginnt eigentlich Gewalt? Zum Beispiel mit Waffenlieferungen? Der Lieferung schwerer Waffen?) Und schliesslich ist zu fragen: Ist Völkerrecht "case law" (Urteil gemäss Präzedenzfall) oder "statutory law" (Urteil gemäss Gesetzbuch)? Die Meinungen, die "spezielle Militäroperation" Russlands betreffend, gehen da wohl auseinander. Nach "case law" stünde Russland gar nicht so schlecht da, wie es manchen lieb wäre (für die Zahl der Freisprüche der einzigen Supermacht reichen keine zehn Finger aus). Und "statutory law"? Was kümmert uns exceptional and indispensable people (aussergewöhnliche und unersetzliche Leute) unser Geschwätz von 1945 in San Francisco (UN Grümdungsversammlung)?

In diesem Zusammenhang auch interessant: On humiliation and the Ukraine War" von Michael Brenner, Professor Emeritus of International Affairs an der University Pittsburgh.

 

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