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Über Francis Bacon

Anmerkungen anlässlich eines Kolloquiums im Dezember 2013 zum Thema Rezeption und Wirkung
von Adam Smith und anderen Grossen der näheren und ferneren Vergangenheit.


Auf die Einladung hin, einen einschlägigen Kurzbeitrag zu diesem Kolloquium zu leisten, zögerte ich zunächst. Schliesslich habe ich weder in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften noch als Historiker welcher Richtung und Couleur auch immer eine professionell ausgeprägte Kompetenz. Tatsächlich habe ich die längste Zeit damit verbracht, als EU Beamter europäische Forschungsförderung zu organisieren und zu verwalten (was immerhin eine gewisse Inkompetenzkompensationskompetenz mit sich bringt).

Ausserdem: es sollte ja nicht nur um Ökonomen oder Grosse der Sozialwissenschaften gehen. Also sagte ich zu. Und zu mir sagte ich: Schuster bleib bei deinen Leisten.

Mir fiel ein (etwas längerer!) Vortrag ein, den ich vor mehreren Jahren im Rahmen einer Vorlesungsreihe an der TU Graz hielt. Mein (selbst gestelltes) Thema war: „Öffentliche Forschungsfinanzierung, Warum, Was, Wie?“.

Das Thema ist nicht neu. Im Abschnitt „Warum“ zitierte ich daher (um nicht im biblischen Paradies zu beginnen) aus einer nur fast vierhundert Jahre alten Science Fiction Story mit dem Titel „The New Atlantis“. Die Geschichte spielt auf einer fiktiven Insel im Pazifik, irgendwo zwischen Peru und Japan. Dort wohnt ein Volk, dessen Regierung eine Art Forschungszentrum finanziert, Salomons Haus genannt, in dem spezialisierte Forscherteams Daten erheben, Experimente durchführen, und das gewonnene Wissen anwenden, um „nützliche und praktische Dinge“ für die auf der Insel lebenden Menschen zu produzieren. Ganz im Sinne (nicht nur) der EU Programme zur Förderung von Forschung und Technologie, könnte man sagen.

Der Name des Autors dieser Geschichte, Francis Bacon, markiert, neben einigen Anderen, in etwa die Dämmerung der europäischen Moderne, an der Wende vom sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert. Und ich denke, er ist durchaus ein guter Kandidat für ein paar Bemerkungen im Rahmen dieses Kolloquiums, wenn auch sein Bezug zu Adam Smith (und Konsorten) vielleicht nur ein sehr indirekter ist. Meine Skizze von Salomons Haus entnehme ich übrigens sinngemäss der Internet Encyclopedia of Philosophy. Dort heisst es weiter:

Als Science Fiction Story ist „The New Atlantis“ ungefähr so spannend wie der Plan für die Umstrukturierung einer Universität. Aber was ihre historische Wirkung angeht, ist sie nichts weniger als revolutionär. Etwa als Inspiration und Modell für die britische Royal Society und als quasi prophetischer Entwurf moderner Forschungseinrichtungen und der internationalen Wissenschaftsszene.

In meinem Verständnis verdient Bacon aber vor allem Interesse, weil er, ein Mann mit mehreren Rollen, als Politiker und Intellektueller, wie kaum ein anderer jene Phase der europäischen Geschichte repräsentiert, in der sich das Rad mit den drei Speichen: 'politische Macht – ökonomische Macht – wissenschaftlich-technische Kapazität' zu drehen beginnt. Mit der etwas mehr als hundert Jahre später einsetzenden industriellen Revolution gewinnt dieses Rad gewaltigen Schwung und beschert uns bis heute die vielfältigsten 'spin-offs':  Atomreaktoren und -bomben, Autobahnen, Internet, Genmanipulation, Drohnen, Smartphones, Airbusse, und so weiter und so fort. Wer weiss, vielleicht sogar Finanzprodukte. Zum Guten und zum weniger Guten, bis hin zum ganz Schlechten.

So ganz gut soll Francis Bacon als Mensch und Politiker übrigens selbst nicht gewesen sein. Zum Beispiel ist sein Abgang von der politischen Bühne im Jahr 1621 (wegen angeblicher Vorteilsnahme) manchem Politikerschicksal in unserer eigenen Zeit nicht unähnlich. In seiner History of Western Philosophy jedoch, charakterisiert Bertrand Russell Bacon als  'morally, an average man, no better and no worse than the bulk of his contemporaries.'

Philosophisch – als eine Art erster (moderner) Empiriker - und, wie schon gesagt, wirkungsgeschichtlich, kommt er durchaus überdurchschnittlich davon. So berichtet der Philosophiehistoriker Karl Vorländer, dass

... Leibniz Bacon einen Unvergleichlichen genannt habe, der die Philosophie auf die Erde zurückgerufen hätte; Friedrich der Grosse habe sein Genie als eine der seltenen Offenbarungen des Menschheitsgeistes gepriesen; Kant habe seine eigene Revolution der Denkungsart zu der von Bacon eingeleiteten in Parallele gesetzt; Goethe habe ihn einen ausserordentlichen Mann genannt, der den Geist seiner Zeit wieder auf die Realität gerichtet hätte. Und noch Nietzsche habe ihn als den 'ersten Realisten in jedem grossen Sinne des Wortes' gerühmt.

Allerdings mag Vorländer bei dieser zu Anfang des 20sten Jahrhunderts getroffenen Auswahl etwas parteiisch gewesen sein, und vielleicht etwas voreilig, insbesondere was den nach ihm stattfindenden Wandel der Einschätzung des sogenannten wissenschaftlich-technischen Fortschritts betrifft. Zum Beispiel war Hegel keineswegs ähnlich begeistert. In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie lobte er zwar Bacons Klarblick und Weltkenntnis, hielt ihn aber für einen verdorbenen Charakter und zu allgemeinen Gedanken für unfähig. Und weiter:

Seine Schriften sind (jedoch) voll der feinsten und scharfsinnigsten Bemerkungen; aber es bedarf gewöhnlich einer geringen Anstrengung der Vernunft, ihre Weisheit zu fassen. Daher wird er oft zum Motto genommen.

Vielleicht meinte Hegel damit (unter anderem?) das berühmte, Bacon zugeschriebene Adage: „Wissen ist Macht.“ In Adorno&Horkheimers 'Dialektik der Aufklärung' liest man dazu:

Heute, da Bacons Utopie, daß wir »der Natur in der Praxis gebieten« in tellurischem Maßstab sich erfüllt hat, wird das Wesen des Zwanges offenbar, den er der unbeherrschten (Natur) zuschrieb. Es war Herrschaft selbst. In ihre Auflösung vermag das Wissen, in dem nach Bacon die »Überlegenheit des Menschen« ohne Zweifel bestand, nun überzugehen. Angesichts solcher Möglichkeit aber wandelt im Dienst der Gegenwart Aufklärung sich zum totalen Betrug der Massen um.

Doch dafür Bacon verantwortlich zu machen, wäre vermutlich unfair. Immerhin könnte er derjenige sein, von dem Bertolt Brecht die Worte bezog, die er dem greisen Galilei in den Mund legte: „Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern.“ In der Baconschen Version (im Vorwort zu seiner Instauratio Magna) hiess es:

Lastly, I would address one general admonition to all; that they consider what are the true ends of knowledge, and that they seek it not either for pleasure of the mind, or for contention, or for superiority to others, or for profit, or fame, or power, or any of these inferior things; but for the benefit and use of life; and that they perfect and govern it in charity.

Und in der Tat, Brechts Galilei fuhr fort, auch inspiriert wohl von Adorno und Horkheimer:

Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein.

1945 sprach dies Charles Laughton. Hiroshima und Nagasaki waren zerstört. Und 1945 schrieb Vannevar Bush (U.S. Office of Scientific Research and Development), einer der ersten Administratoren des zu dieser Zerstörung führenden Manhattan Projekts und fast faustischer Nachfolger Bacons, noch vor jenen schrecklichen Ereignissen einen Bericht für Präsident Roosevelt. Das Thema: „Science the endless frontier“. Im Begleitbrief heisst es:

Science offers a largely unexplored hinterland for the pioneer who has the tools for his task. The rewards of such exploration both for the Nation and the individual are great. Scientific progress is one essential key to our security as a nation, to our better health, to more jobs, to a higher standard of living, and to our cultural progress.

Und alles Weitere (ca. 250 Seiten) ist ein Plädoyer für öffentliche Forschungsförderung. 23 Jahre später landete der erste Mensch auf dem Mond, Teil von KennedysNew Frontier“.

Auftritt Adam Smith. In Gestalt eines gewissen Terence Kealey, derzeit Vizekanzler der privaten britischen University of Buckingham. Der fragt, in einem 1996 erschienenen Buch mit dem Titel „ The Economic Laws of Scientific Research“, warum man nicht einfach die ganze Sache dem Markt überlässt. Und er postuliert, man liest und staunt, ein Bacon-Modell und ein Smith-Modell der Forschungsfinanzierung. Und argumentiert, wie könnte es anders sein, vehement zugunsten von Letzterem.

Dazu liesse sich noch einiges sagen, insbesondere in Anbetracht der allenthalben zu beobachtenden Umstrukturierung der Hochschul-Landschaft, und ich müsste meine Zeit überschreiten. Daher nur und quasi pro domo: Gut, dass mindestens bis zu meiner Pensionierung das Bacon'sche Modell mehr oder weniger die Oberhand behielt …

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